INTERVIEW MIT DER REGISSEURIN
von Bettina Hohorst
"Der Stein zum Leben" erzählt von Menschen, die einen Grabstein für einen geliebten Menschen machen. Wie kommt es, dass Sie, die so mitten im Leben stehen, sich mit so einem Thema beschäftigen?
Mit dem Tod wird man nicht nur am Ende des Lebens konfrontiert, sondern auch mitten im Leben. Meine Mutter ist vor sechs Jahren gestorben. Der Tod war mitten in mein Leben geplatzt, und ich musste einen Weg finden, mit dem Verlust umzugehen. Damals habe ich gemeinsam mit Michael Spengler ein denkwerk für meine Mutter gestaltet. Der Prozess, den ich dort erlebt habe, und seine Arbeit haben mich sehr beeindruckt. Als der Stein fertig war, habe ich ihn gefragt, ob ich einen Film über ihn machen kann.
Ist es ein Film über den Tod?
Der Film heißt "Der Stein zum Leben" und es ist auch ein Film über das Leben. Es ist ein Film darüber, wie man einen Abschied selber gestalten kann, und darüber, wieder zurück ins Leben zu gehen - in das veränderte Leben. Es ist ein lebendiger und ein kraftvoller Film. Das war mir wichtig, und das ist mir wohl auch gelungen.
Es ist eine sehr intime Situation, wenn man sich mit dem Abschied von einem geliebten Menschen auseinandersetzt. Wie sind Sie an die Protagonist_innen herangekommen?
Die meisten Protagonist_innen habe ich über Michael Spengler gefunden. Er hat einige seiner Kund_innen gefragt, ob ich sie kontaktieren darf. Ich habe ihnen dann geschrieben, wer ich bin und was ich vorhabe. Die meisten haben direkt eingewilligt, dass ich dabei sein darf. Und dann waren wir einfach da, in sehr kleinem Team, immer nur zu zweit, ich als Regie und Kamera und eine Tonperson. Mit allen entstand schnell ein sehr selbstverständliches und vertrautes Verhältnis. Sie haben sich nicht gestört gefühlt und haben die Kamera nach einer Weile gar nicht mehr wahrgenommen. Ich glaube, einer der Türöffner war, dass ich den Menschen von Anfang an gesagt habe, dass ich den Prozess bei Michael Spengler auch durchgemacht habe. Das hat eine Basis gelegt für ihr Vertrauen zu mir.
Ja, man hat das Gefühl, dass sie sehr natürlich sind, tatsächlich als wenn Sie nicht da wären.
Michael Spengler hat natürlich nur bestimmte Menschen gefragt. Und das sind - vielleicht zufällig - alles Menschen, die in gewisser Weise ein Sendungsbewusstsein haben. Nicht im Sinne von: Ich möchte mich präsentieren, eher, dass sie es wichtig finden, dass Menschen in Trauer eine Sichtbarkeit kriegen. Familie Neustadt hat das ganz klar, sie gehen mit ihrer Geschichte ganz bewusst nach Außen. Sie haben einen Blog, der von ihrem Leben und ihren Erfahrungen mit ihrem Sohn erzählt. Die anderen haben das nicht als Projekt, aber sie haben sich gefreut, dass ihre Verstorbenen über den Film noch mal eine besondere Aufmerksamkeit bekommen und etwas von ihnen festgehalten wird und in die Welt rausgeht.
Haben Ihre Protagonist_innen Sie überrascht?
Ja, Hardburg Stolle hat mich überrascht. Es war beeindruckend zu sehen, was bei ihr freigesetzt wurde, dadurch, dass sie selber versucht hat, den Stein zu spalten. Das hatte ich nicht erwartet, nachdem ich sie das erste Mal erlebt hatte. Sie ist schon zwei Monate nach dem Tod ihres Mannes zu Michael Spengler gekommen, das heißt, sie war noch sehr eingenommen von der ganz akuten Trauer. Und zwei Monate später hat sie gemeinsam mit Michael Spengler diesen Stein gespalten. Ich konnte wirklich eine sehr starke Veränderung bei ihr spüren. Sie war einfach total glücklich an diesem Tag.
Der Film besteht aus sehr langen beobachtenden Einstellungen. Die Kamera ist stets unaufdringlich. Wie ist so ein Dreh abgelaufen? Wie haben Sie es geschafft, diese Situationen so einzufangen?
Wir waren immer nur zu zweit am Set, um die Situation so wenig wie möglich zu stören. Wir haben in die Zusammenkünfte mit den Angehörigen nicht eingegriffen. Es waren fragile Situationen, und es war eben wichtig, nicht aufdringlich zu sein. Die Menschen waren vertieft in ihren Prozess. Und wir waren einfach da. Mit viel Ruhe haben wir alles begleitet.
Das Unaufdringliche sagt auch etwas über den Film aus. Auch er ist nicht aufdringlich, er sagt mir nicht was ich denken soll. Er gibt mir ganz viel Raum. War das ein Konzept von Anfang an?
Ganz am Anfang bin ich mit der Haltung reingegangen: Es ist nicht alles schlimm, was aus dem Tod eines nahestehenden Menschen resultiert. Das möchte ich zeigen. Und dann hab ich das einer Bekannten erzählt, die ihren Vater verloren hat, und sie sagte zu mir: Also für mich ist da nichts Positives dran. Und das hat mir zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Augen geöffnet. Ich habe gemerkt, genau das will ich nicht, ich will niemandem sagen, wie er oder sie sich in so einer Situation zu fühlen hat. Und das hat dazu geführt, dass der Film sich ganz stark an den Familien orientiert und eben nicht an irgendeiner Aussage, die ich machen will. Ich wollte einfach den individuellen Prozess zeigen, den die Menschen durchleben. Und die Familien sind sehr verschieden, sie gehen sehr verschieden mit ihrer jeweiligen Situation um. Es ist auch im Prinzip nicht vergleichbar, ob man seinen Großvater verliert oder sein kleines Kind. Es geht mir darum, den Raum zu zeigen, den Michael Spengler schafft. Ein Raum, in dem die Menschen sich ihrer Trauer und ihren Verstorbenen widmen können, was in der Außenwelt nicht immer möglich ist. Sie sind in einer Situation, die der totale Ausnahmezustand ist, und müssen trotzdem im Alltag funktionierten. Aber an diesem Ort gelten andere Regeln. Das war der Ausgangspunkt für den Film, das zu zeigen.
Michael Spengler wird fast zu einer Art Moderator innerhalb des Films. War er so als Medium geplant, oder sollte es auch mal stärker um ihn gehen?
Ursprünglich gab es Überlegungen, den Film stärker als Porträt über ihn anzulegen, denn er ist auch über seine Arbeit hinaus ein sehr spannender Mensch. Aber mir wurde schnell klar, dass mein Fokus auf dem Raum liegt, den er mit seiner Arbeit und mit seiner Persönlichkeit schafft. Und es war klar, wenn der Fokus auf seiner Arbeit liegt, dann müssen die Angehörigen auch zentrale Figuren sein; alles andere würde seiner Art zu arbeiten nicht entsprechen. Michael Spengler selbst sagt, er sei Übersetzer. Er übersetzt Lebensgeschichten in Stein. Er ist in vielen Situationen auch Moderator oder Mediator. Eine Kollegin hat mal gesagt, er ist sowas wie eine Hebamme. In jeden Fall ist er der Begleiter in dem Prozess. Er sieht sich nicht in der Rolle des aus sich selbst heraus schaffenden Künstlers. Er bringt seine Fähigkeiten ein, stellt sie zur Verfügung. Er sagt, was er am besten kann, ist, was Gefundenes zu nehmen und daraus etwas zu machen. Und das ist das, was er tut. Er bekommt ganze Leben erzählt, und unter Einbeziehung der Angehörigen übersetzt er sie dann in Form und Material.
Ich mag sehr die Bilder, in denen er den Stein bearbeitet, denn ich denke, die Entwicklung der Menschen zeichnet sich auch in der Veränderung der Steine ab.
Ja, es gibt eine gewisse Parallele zwischen dem Prozess, den die Menschen durchlaufen, und der Formwerdung des Steins. Erst ist es ein Riesenblock, ein harter, superschwer zu bearbeitender Block. Aber wenn man ihn richtig angeht, wenn man sich Zeit nimmt und sich auf seine Beschaffenheit einlässt, dann kann man ihn formen und kann da was reinbringen, was Eigenes. Und so der Ohnmacht etwas entgegensetzen. Michael hat einmal gesagt, wenn man dem Stein mit Hektik begegnet, dann rächt er sich und fällt einem auf den Fuß. All das ist in gewisser Weise auch übersetzbar auf Trauer.
Sie haben selbst einen Stein für ihre Mutter gemacht und sagen, der Film ist wie ein neuer Stein für Sie. Was heißt das?
Den Stein damals habe ich für meine Mutter gemacht, aber ich hab ihn natürlich auch für mich gemacht. Und das ist ja auch eine zentrale Sache in diesem ganzen Prozess. Die Menschen machen den Stein jeweils für den Verstorbenen, aber den Prozess machen sie für sich. Als der Stein meiner Mutter aufgestellt war, war zwar eine Etappe genommen, aber natürlich war die Beschäftigung mit dem Verlust nicht zu Ende. Den Film zu machen, war eine Entscheidung, mich weiterhin sehr lange und intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und der Film bot mir wieder einen kreativen Rahmen. Dass es diesen Rahmen gibt, ist vielleicht die Parallele zu dem Prozess mit dem Stein. Man entwickelt etwas Haptisches, ein Film ist natürlich etwas weniger haptisch als ein Stein, aber er muss kreativ ausgestaltet werden. Und dieser Gestaltungsprozess bietet die Möglichkeit, sich mit den Themen Trauer, Tod und Abschied zu beschäftigen.
Mit so einem Stein verabschiedet man sich von einer Person. Ist der Film ein Abschied von der Trauer?
Natürlich ist meine Trauer heute nach sechs Jahren eine ganz andere geworden. Dennoch wird mich die Trauer um meine Mutter mein ganzes Leben lang begleiten. Die Art, wie es Teil meines Lebens ist, verändert sich aber ständig. Mit der Fertigstellung des Films bin ich einen neuen Schritt gegangen, und ich bin gespannt, wie es nun weiter gehen wird. Ich trage auf der einen Seite das Gefühl in mir: Jetzt ist mal gut mit dem Thema. Doch man sucht es sich nicht aus, andere nahe Menschen sterben, das Thema bleibt. Es ist ein Teil des Lebens.